Zwei Jahre intensiv laufen

Philippe Wampfler
6 min readMay 31, 2022

Letztes Jahr habe ich hier beschrieben, wie ich damit begonnen habe, intensiv zu laufen. Intensiv heißt: Wenn immer möglich jeden Tag. Nun mache ich das schon zwei Jahre. Weil ich im letzten September beim Laufen einen Zusammenbruch hatte, ziehe ich auch dieses Jahr Bilanz und halte fest, was sich für mich verändert hat.

Schaut man diese Darstellungen an, sieht man drei Unterbrüche, alle im Jahr 2022: Zuerst Covid. Dann Sommerferien in der Hitze. Und dann der verhängnisvolle Greifenseelauf.

2022 lief ich beim Zürich Marathon mit, auf der Halbmarathon-Strecke. Der Lauf fühlte sich großartig an: Ich war schneller als erwartet, konnte mich während des Laufs steigern und hatte danach Lust auf weitere Volksläufe. Nicht viele, aber immer mal wieder welche. Ich trainierte auch. Zwar nicht systematisch, aber ich versuchte, beim Joggen aufs Tempo zu achten. Eine Pace zu laufen, mit der ich irgendwann nahe an die 100 Minuten-Marke für einen Halbmarathon kommen könnte.

Der Greifenseelauf fand an einem kühlen Spätsommertag statt, es war 14 Grad warm. Ich fühlte mich fit, war trainiert. Hatte was gegessen, aber nicht zu viel – und vor dem Lauf viel getrunken. Mit Freundinnen, die schon früher gelaufen waren, hatte ich mich fürs Abendessen verabredet. Optimistisch reihte ich mich bei der Pace für eine Zielzeit von 1 Stunde und 45 Minuten ein. Ich merkte, dass das Tempo für mich eine Herausforderung war, schaffte es aber bis zu den letzten Kilometern, die Geschwindigkeit zu halten. Kurz vor dem Zielort war eine Zusatzschlaufe eingerichtet, mit der ich nicht gerechnet hatte. Ich erinnere mich, wie ich abreißen lassen musste. Offenbar rannte ich weiter. Die nächste Erinnerung habe ich daran, wie ich auf der Intensivstation im Waidspital aufwachte. Meine Freundinnen merkten, dass ich nicht ins Ziel kam und fanden mich zusammengebrochen am Boden. Sie begleiteten mich in die Notaufnahme in Uster, ich war nicht ansprechbar und wurde nach Zürich verlegt. All das habe ich nicht bewusst erlebt. Grund meines Zusammenbruchs war ein Hitzschlag, ausgelöst durch die Anstrengung. Mein Körper konnte die Temperatur nicht mehr regulieren. Meine Organe versagten, der Zusammenbruch hätte zum Tod oder zu langfristigen Schäden führen können. (Offenbar passiert das auch richtig trainierten Läufern.)

Videostill kurz vor dem Zusammenbruch

Ich erholte mich sehr langsam. Eineinhalb Monate lang war ich müde und extrem schnell erschöpft, auch von einfachen Gesprächen. Danach begann ich wieder zu laufen. Das hat sich für mich (nicht) verändert:

  1. Ziel: Jeden Tag laufen. Aber nicht verbissen.
    Ich versuche weiterhin, jeden Tag ein paar Kilometer zu joggen. Aber nur, wenn ich wirklich entspannt Zeit habe. Geht es nicht oder bewege ich mich auf eine andere Art, lasse ich das sein. Das war vorher manchmal anders.
  2. Wohlfühlbereich.
    Nach dem Zusammenbruch wurde ich von einer Physiotherapeutin betreut, die mir etwas nahelegt: Immer so bewegen, dass ich mich dabei wohl fühle. Das mache ich seither. Ich kotze mich nicht mehr aus, nach einer intensiven Steigung lege ich eine Pause ein. An jedem Brunnen trinke ich. Ich achte nicht auf die Zeiten, die ich laufe.
  3. Konstanz und Normalität.
    Im ersten Jahr habe ich stark abgenommen. Im zweiten Jahr nicht mehr. Mein Gewicht ist konstant. Das Joggen erlaubt es mir, auch ungesund zu essen, ohne zuzunehmen. Niemand spricht mich mehr darauf an, dass ich mich verändert habe. Joggen gehört zu meinem Alltag, es ist nichts Besonderes mehr.
  4. Psychische Gesundheit – und: Angst?
    Laufen tut mir gut. Ich fühle mich danach jedes Mal besser. Sobald ich daran denke, finde ich einen guten Grund, um loszulaufen.
    Angst vor einem Zusammenbruch habe ich keine. Sobald ich merke, dass ich eine Grenze erreiche, laufe ich langsamer oder halte an. Ich konnte viel über den Unfall sprechen und ihn für mich einordnen. Rennen absolviere ich keine mehr. Dort könnte ich mich wohl nicht davor schützen, meinem Körper zu viel abzuverlangen.
  5. Smartwatch.
    Gekauft, getestet, unzufrieden weggelegt. Pulserfassung ist für die Daten super, ohne SIM-Karte brauche ich aber weiterhin das Handy für die Sicherheit. Und im Alltag nervt mich die Watch.

Hier folgt der Bericht vom letzten Jahr:

Vor einem Jahr habe ich begonnen, intensiv zu joggen. Über die Gründe habe ich schon mal was geschrieben. Hier nur kurz darüber, wie ich das mache.

  1. Ziel: Jeden Tag laufen.
    In der Regel arbeite ich zwei Tage im Haushalt bzw. von zuhause aus. An diesen Tagen sowie am Wochenende ging ich zuerst joggen. Nach den Sommerferien habe ich dann begonnen, auch an der Schule über Mittag rennen zu gehen. Mittlerweile versuche ich, jeden Tag ein paar Kilometer zu laufen. Das Wetter ist mir egal, wenn ich zurückkomme, bin ich eh meist nass. Auch der Ort spielt keine Rollen: Joggen kann man ja praktisch überall, solange man Zugang zu einer Dusche hat.
  2. So weit, wie ich Zeit habe.
    An einem freien Tag würde ich gern knapp zwei Stunden rennen. Im Alltag schaffe ich manchmal nur eine 20-Minuten-Runde, häufiger eine, die gut 40 Minuten dauert, manchmal bin ich eine gute Stunde unterwegs. Zuhause und auch in der Schule kenne ich Routen, auf denen ich die Kilometer-Zahl mehr oder weniger frei wählen kann.
  3. Geschwindigkeit: 5.30.
    Mein Tempo hat sich zunächst extrem gesteigert: Während der Schulschließungen 2020 lief ich einen Kilometer auf einer kurzen Strecke in gut 7 Minuten, nach einem Monat Training in 6.30 und heute in +/- 5.30, je nach Tagesform. Seit einer Weile steigere ich mich nicht mehr, an gewissen Tagen laufe ich auch bewusst etwas langsamer. Mein Ziel ist es nicht, immer schneller zu werden.
  4. Motivation finden.
    Ich freue mich jeden Tag aufs Joggen. Das hat zwei Gründe: Erstens ist es Zeit, die ich für mich habe, in der ich weder für den Beruf noch für die Familie arbeite. Diese Auszeit ist ein Luxus, den ich genieße. Zweitens fühle ich mich nach dem Joggen immer viel besser als vorher. Ich habe klarere Gedanken, bin weniger gestresst und spüre meinen Körper. Mir ist bewusst, dass sich nicht alle leicht zum Rennen motivieren können. Mir ging es früher auch so, das hat sich aber auch durch die Routine geändert.
  5. Tracking und Podcasts.
    Ich jogge mit meinem Smartphone und tracke meine Läufe mit Strava (dem »Instagram für alte Männer«, wie ein Freund kürzlich gesagt hat). Ich mag es, während des Laufs eine Art Anhaltspunkt zur Distanz und Zeit zu haben, besonders dann, wenn ich unbekannte Strecken laufe. Zudem höre ich während des Laufens Podcasts. Das zentriert meine Gedanken besser, als ich wenn ich einfach in mich rein (oder gar in die Natur) höre, wie viele Leute empfehlen. Liegt wohl einfach an meinem Gehirn. Ich jogge auch gern mit anderen, wenn sich die Gelegenheit ergibt, in der Regel bin ich aber allein unterwegs.
    Manchmal wünsche ich mir eine Uhr, die Strava und Podcasts kann – aber nur deswegen möchte ich keine Smartwatch kaufen. Sonst hätte ich keine Verwendung dafür.
  6. Gesundheitliche Auswirkungen.
    Ich habe im letzten Jahr ungefähr 20 Kilo abgenommen, was mit dem Joggen zu tun hat. Wenn ich über Mittag rennen gehe, esse ich auch weniger und gesünder. Früher fiel mir das Atmen bei langen Treppen schwer, das passiert heute nicht mehr. Auch die Atemnot, die ich früher mit Asthma in Verbindung gebracht habe (besonders auch bei Kälte), kenne ich nicht mehr. Ich habe aber nicht deswegen mit joggen begonnen, es ist eine Art Bonus.
  7. Rennen.
    Bisher habe ich an drei Volksläufen teilgenommen. Bei zwei davon habe ich gelitten, einen habe ich genossen. Ab und zu werde ich das sicher weiter machen, ein wichtiges Ziel sind diese Rennen aber nicht.
  8. Was mich ärgert.
    Laufschuhe halten aus meiner Sicht zu wenig lang.
    Sonnenbrillen halten Mücken von den Augen ab, aber nicht von Mund und Nase.

--

--

Philippe Wampfler

Denkt gerne nach: Über Schule, Kultur, Medien, Politik und Gender. Und alles andere. phwa.ch & schulesocialmedia.com