Zitate autorisieren – was ich aus einer Diskussion mit Journalist*innen gelernt habe

Philippe Wampfler
3 min readMay 7, 2021

Nachdem ich mir im Netz Gedanken über die Möglichkeit gemacht habe, mich in einem anderen Kanton impfen zu lassen, habe ich diese Woche kurz mit einer Journalistin von einem Online-Portal telefoniert. Danach hat sie mir per Mail ein paar Fragen gestellt und mich gefragt, ob sie mich zitieren könne. Ich hatte die Befürchtung, im Artikel als Impftourist zu erscheinen, was ich weder bin noch wollte.

Deshalb habe ich gesagt, ich würde die Zitate nur autorisieren, wenn ich den ganzen Artikel lesen könne. Die Journalistin hat abgelehnt. Während dieses Austauschs habe ich das getwittert:

Danach ergab sich eine intensive Diskussion mit vielen Journalist*innen, die mich darauf hinwiesen, dass Fragen der Pressefreiheit und des Quellenschutzes dagegen sprechen, Zitierten ganze Artikel vor der Publikation vorzulegen. Insbesondere sei es problematisch, dass diese dann Aussagen von Dritten zu sehen bekämen, bevor diese autorisiert seien – und es zu Druckversuchen kommen könnte.

Mit etwas Abstand wurde mir klar, dass ich von einer anderen prototypischen Situation ausgehe als viele der Personen, die mit mir diskutiert haben.

Meine typische Situation ist die:
Als Zeitzeuge oder Fachperson bin ich daran interessiert, dass ein Zusammenhang möglichst genau journalistisch aufgearbeitet wird. Was publiziert wird, soll stimmen und relevant sein. Ich teile also bestimmte Ideale mit Journalist*innen. Gleichzeitig habe ich aber auch Interessen, die ich sicher nicht von diesen Idealen lösen kann: Ich möchte kompetent, integer und sympathisch erscheinen, wenn ich zitiert werde – und nicht als Sprecher von Gruppen, zu denen ich mich nicht zählen würde.

Die typische Situation vieler Journalist*innen ist die:
Sie wollen Zusammenhänge darstellen, bei denen Menschen, Unternehmen oder Institutionen ein Interesse daran haben, dass nicht offen darüber geredet wird. Sie müssen dabei mit allen möglichen Formen von Widerstand gegen die Publikation rechnen, insbesondere auch mit Druckversuchen auf Personen, die Journalist*innen mit Informationen versorgen. Ihre Arbeit sehen sie als Abgrenzung von PR.

Meine Arbeit erfolgt primär in einem (populär-)wissenschaftlichen Kontext: Deshalb bewährt es sich für mich, Texte auch als Entwürfe offen zugänglich zu machen und alle Interessierten zu bitten, mir Feedback zu geben. Ich habe in diesem Setting kaum Angst vor PR, weil es um einen argumentativen wissenschaftlichen Diskurs geht.

Offene Arbeit funktioniert im Journalismus bei der zweiten Situation nicht, weil sonst kritische Beiträge nicht entstehen könnten. Wäre es nun der Standard, dass ganze Artikel vorgelegt werden, wenn Zitate autorisiert werden, dann entstünden in dieser Situation massive Probleme, der Journalismus könnte wichtige Aufgaben nicht mehr wahrnehmen. Das stimmt, ich verstehe dieses Problem.

Dennoch bin ich versucht, ein Aber nachzuschieben: Diese Situation ist eher selten und sollte nicht der Orientierungspunkt für journalistische Arbeit sein. Meine Schulanalogie wäre die: Wenn ich davon ausgehe, dass Schüler*innen mit unlauteren Mitteln gute Noten erschleichen wollen, dann mache ich meinen Unterricht kaputt – ich beginne dann, Lernenden generell zu misstrauen, kontrolliere und entmündige sie. Meine Polizeianalogie wäre die: Wenn die Polizei bei Routinekontrollen von Autofahrenden alle so behandelt, als wären sie gefährliche Verbrecher*innen, dann macht sie ihre Arbeit nicht gut, sie erzeugt Verunsicherung und Ängste.

Was heißt das nun für die journalistische Arbeit und das Autorisieren von Zitaten: Maximale Transparenz geht oft nicht, sie erschwert Journalist*innen die Arbeit und ermöglicht in kritischen Fällen Druckversuche, die nicht passieren dürfen.

Meine Forderung würde ich etwas präziser so formulieren:

  1. Journalist*innen sollten Menschen, die sie zitieren, so stark wie möglich vertrauen und ihnen genau erklären, wozu sie die Zitate verwenden werden. Die Autorisierung muss auf einer fairen Basis erfolgen und soll im Normalfall nicht davon ausgehen, dass befragte Personen Berichterstattung verunmöglichen oder erschweren möchten, sondern dass sie ein Interesse an guten Artikeln haben.
  2. Menschen, die sich befragen lassen, müssen sich bewusst sein, wie Frames funktionieren und wie relevant Kontexte sind. Oft ist es für einen Artikel entscheidend, wer auch noch befragt wird, wie man im Verhältnis zu diesen Personen wirkt.
  3. Digitalität verändert den Umgang mit Informationen. Ich kann diesen Beitrag so oft editieren, wie ich will. Wird er irgendwo verlinkt, kann ich sicherstellen, dass keine Missverständnisse auftauchen, das unvorsichtige oder irreführende Formulierungen verbessert werden können. Das geht bei klassischen journalistischen Formen nicht. Die Erwartungen von digital sozialisierten Menschen entspricht nicht unbedingt dem Berufsbild von Journalist*innen, die sich z.B. daran orientieren, dass das gesprochene Wort gilt.
  4. Journalist*innen müssen sicher sein können, dass ihre Arbeit nicht durch illegitime Formen der Einflussnahme beeinträchtigt oder verunmöglicht wird.

Um auf die Bilder zurückzukommen: Als Lehrer brauche ich Mittel, um mit Schüler*innen umzugehen, die betrügen. Und die Polizei braucht Verfahren, um gefährliche Menschen zu verhaften. Genauso braucht es im Journalismus Wege, um unberechtigte Formen der Einflussnahme zu verhindern. Das heißt aber nicht, dass in vielen anderen Fällen nicht Offenheit und Transparenz die eigene Arbeit verbessern könnte.

btw.
Meine Position habe ich auf Twitter gestern noch aktualisiert:

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Philippe Wampfler

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