Was ich über Anreize weiß & was ich daraus ableite

Philippe Wampfler
3 min readMay 1, 2018

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Im Folgenden fasse ich zusammen, was ich über Anreize weiß, die in Systemen bewusst eingesetzt werden, um das Verhalten von Menschen zu beeinflussen. Daraus leite ich zum Schluss einige Folgerungen für Sozialhilfe und Schule ab. Entsprechende Literatur habe ich schon vor einer Weile verarbeitet (etwa hier), wissenschaftliche Belege lasse ich der Einfachheit halber erstmal weg – bei Nachfragen ergänze ich gern.

Anreize können verschiedene Formen annehmen: Gemeint sind alle Formen von Belohnungen und Strafen, die an soziale Systeme gebunden sind. Denkt man an Familien, dann wird deutlich, dass in der Erziehung auch emotionale und intransparente Anreize durchaus von Bedeutung sind.

  1. Jedes Anreizsystem schafft Fehlanreize.
    Anders formuliert: Anreize haben immer unerwartete Effekte, weil ihre Wirkung in den Systemen immer komplexer ist, als vorausgesehen werden kann.
  2. Menschen reagieren unterschiedlich auf Anreize.
    Wir gehen unterschiedlich mit Risiko, Unsicherheit und Motivation um.
    Einige Menschen lassen sich durch bestimmte Anreize leicht beeinflussen – andere können ihr Verhalten gar nicht ändern.
    Ein einfaches Beispiel für 1. und 2. ist die Strafzahlung, die von Eltern verlangt wird, wenn sie Kinder zu spät in der Krippe abholen: Sie führt bei vielen Eltern dazu, dass sie öfters zu spät kommen – weil sie dafür nun bezahlen. Es wäre ihnen unangenehmer, gegen eine Regel zu verstoßen, wenn der Verstoß nicht finanziell sanktioniert wird.
  3. Die Wirkung von Anreizen kann kaum isoliert untersucht werden.
    Wenn in der Wissenschaft Experimente durchgeführt werden, können kaum reale Bedingungen erzeugt werden. Menschen verhalten sich so, wie wenn sie an einem Experiment teilnehmen – nicht so, wie sie das am Arbeitsplatz oder im Privatleben tun. Betrachtet man aber Anreize in Unternehmen oder Institutionen, dann sind sie an viele andere Faktoren und Veränderungen gekoppelt.
  4. Wirksame Anreize sind direkt an das Verhalten gebunden, das beeinflusst werden soll.
    Für Betroffene muss klar sein, dass die Belohnung/Strafe direkt mit ihrem Verhalten zu tun hat und sie die Anreize beeinflussen können.
  5. Deshalb wirken Anreize meist nur für kurzfristige Verhaltensänderungen, nicht für nachhaltige.
    Insbesondere können sie kaum wirksame Motivation erzeugen, sondern nur den Wunsch erzeugen, eine Strafe zu vermeiden oder eine Belohnung zu erhalten.
  6. Anreize erzeugen Machtstrukturen.
    Wer sie vergibt, definiert die eigene Rolle und Position dadurch. Wer von ihnen betroffen ist, ist nicht gleichwertig. Soziale Systeme, die auf Anreize zurückgreifen, entfernen sich von einem demokratischen Ideal.

Anreize sind ungerecht – sofern sie nicht Rawls liberaler Argumentation folgen, die folgende Punkte vorsieht:

  1. Gleiches Recht auf das umfangreichste System gleicher Grundfreiheiten.
  2. Ungleichheiten, so daß sie
    (a) zu jedermanns Vorteil dienen
    (b) den am wenigsten Begünstigten den größtmöglichen Vorteil bringen,
    (c) sie mit Ämtern verbunden sind, die allen offen stehen.

Das heißt: Setzt ein Staat Anreize ein, dann müsse sie auf einer Ebene ansetzen, wo die Grundfreiheit der Menschen nicht tangiert wird. Grundrechte müssen nicht durch korrektes Verhalten erworben werden – sie sind eine Voraussetzung, gehören zur Definition eines Staates. Dazu gehört auch der Grundbedarf.

Genau so ist es an einer Schule: Strafen und Noten sind oft so selbstverständlich, dass kaum erkannt wird, welche unbeabsichtigten Effekte sie auslösen. Sie machen die Schule zu einem Machtraum, der sie nicht sein müsste. Da Lernen weitgehend ohne Strafe oder Noten funktioniert, ist nicht einzusehen, was diese Anreize überhaupt leisten.

Generell tendieren Menschen dazu Anreize zu überschätzen – wenn sie andere betreffen. Sind sie selbst betroffen, verstehen sie oft besser, wie sie wirken.

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