Warum Profisport nichts Gutes ist – und staatlich nicht gefördert werden sollte

Philippe Wampfler
3 min readNov 10, 2020

Dieser Text ist die argumentative Rahmung dieses Tweets, den ich auf Twitter bereits ausgiebig diskutiert habe.

Vorausschicken möchte ich: Ich konsumiere durchaus professionellen Sport, wenn auch oft mit einem schlechten Gewissen. Mich faszinieren viele Sportarten, ich weiß, wie viele Gefühle damit verbunden sein können, den besten Sportler*innen in Wettkämpfen zuzuschauen. Ich rufe nicht zu einem Verbot auf.

Ich spreche von professionellem Sport, wenn Sport ein bezahlter Beruf ist. Breitensport meine ich nicht – er tut vielen Menschen gut und kann deshalb durchaus als staatliches Angebot gesehen werden. Professioneller Sport tut Menschen generell nicht gut: Utilitaristisch betrachtet ist sein Nutzen nicht größer als sein Schaden.

Dabei können wir die Zuschauenden vorerst ignorieren: Gäbe es keinen professionellen Sport, würden sie entweder Amateur-Sport konsumieren oder ihre Zeit anders verbringen: Mit hoher Wahrscheinlichkeit ginge es ihnen nicht schlechter, wenn sie weniger oft in ein Stadion gingen oder vor dem Fernseher säßen (auch wenn sie das heute sehr gerne tun).

Betroffen sind also die Sportler*innen: Nicht nur die, welche tatsächlich vom oder für den Sport leben, sondern alle die, die das auch gern gemacht hätten, aber nicht geschafft haben. Viele von ihnen pushen ihren Körper dafür über Grenzen: Sie leiden während Jahren, haben Schmerzen und nehmen Verletzungen und langfristige Schäden in Kauf – obwohl sie hervorragende körperliche Voraussetzungen mitbringen.

Kürzlich ist im Magazin ein Text erschienen, welche das Leiden von jungen Frauen dokumentiert, welche auf eine Teilnahme an Olympischen Spielen vorbereitet wurden. Ihre Geschichte ist die Geschichte von vielen jungen Menschen, für die der Profisport eine hohe Anziehungskraft hatte – letztlich aber zu einem Scherbenhaufen führte.

Erfolgreich sind ganz wenige. Oft sehen wir die – und vergessen, auf wie vielen Schulten von anderen talentierten Sportler*innen sie stehen, die durch Verletzungen, mentale Erschöpfung, Pech oder einen kleinen Leistungsrückstand den Sprung zu den Profis nicht schafften und dafür jahrelang gelitten haben.

Kurz: Ich würde aufgrund dessen, was ich über Profisport weiß, allen Menschen, die ich liebe, davon abraten, diesen Weg einzuschlagen. Sportcoach Lukas Christen schreibt heute im Tagi: »Korrekte Menschlichkeit und Spitzensport vertragen sich schlecht. […] Sportliche Weltklasse ohne ein gewisses Maß an Missbrauch und Grausamkeit ist selten.«

Aus diesen Gründen finde ich es auch problematisch, wenn der Staat Profisport finanziell unterstützt und fördert. Es sollte allen frei stehen, Sport als Beruf auszuüben und dafür zu bezahlen. Aber staatliche Unterstützung braucht es nicht.

Simon Häring vertritt eine andere Ansicht. Er bringt folgende Argumente vor:

  1. Sport ist mit Arbeitsplätzen verbunden (oder Arbeitsplätze mit Sport).
  2. Profisport ist mit Breitensport verbunden und schafft Strukturen, von denen dieser profitiert oder gar abhängig ist.
  3. Sport schafft eine Begeisterung, welche die Gesellschaft verbindet.

Ja, Profisport führt zu Arbeitsplätzen. Von der staatlichen Förderung hängen wohl in der Schweiz großzügig geschätzt 10–15'000 Arbeitsplätze ab, wie ich in diesem Thread berechnet habe.

In der Pandemiesituation sollten Vereine und Sportunternehmen dieselbe Unterstützung erhalten wie alle anderen Unternehmen, die nur eingeschränkt oder gar nicht operieren können. Aber letztlich ist es kein Argument für staatliche Förderung, dass die Förderung zu Arbeitsplätzen führt: Staatliche Zahlungen führen immer zu Arbeitsplätzen. Wäre dieses Argument entscheidend, könnte der Staat einfach direkt mehr Arbeitsplätze schaffen.

Dasselbe gilt für die Strukturen: Ja, Eishockeyhallen werden für den Profisport gebaut und von Amateurvereinen genutzt. Aber auch hier kann die direkte staatliche Unterstützung des Breitensports effizienter wirken. Genaue Zahlen rund um dieses Argument gibt es keine: Wie viel sind die Leistungen, welche vom Profi- in den Breitensport fließen, letztlich wert? Würde man genau hinsehen, sähe man, dass Breitensport häufig auch Profisport ermöglicht.

Das sind meine Argumente, aus denen meine Haltung entsteht.

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Philippe Wampfler

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