Warum es eine Rolle spielt, wie wir über Corona sprechen

Philippe Wampfler
4 min readNov 2, 2020

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In den letzten Tagen habe ich drei Diskussionen geführt, in denen es um Maßnahmen rund um die Eindämmung der Covid-Pandemie ging. Ihnen ist eines gemeinsam: Für mich stand immer die Frage im Mittelpunkt, wie über die Eindämmung der Infektionen gesprochen wird.

Vorauszuschicken ist: Ich halte die Pandemie für gefährlich und befürworte strenge Maßnahmen, um die Ausbreitung zu verlangsamen und Ansteckungen zu verhindern. Oft wird das aber in Zweifel gezogen, sobald ich Skepsis in Bezug auf bestimmte Darstellungen äußere.

Mein Eindruck ist, dass Menschen, welche die aktuellen Maßnahmen für unzureichend halten, es als problematisch empfinden, wenn die Forderungen nach strengeren Vorschriften kritisch kommentiert werden – auch wenn es nicht um die damit verbunden Argumente geht, sondern darum, wie sie formuliert werden.

Ein erstes Beispiel stammt aus einer Facebook-Diskussion: Sollten wir uns so verhalten, als seien wir immer ansteckend und könnten von jeder anderen Person angesteckt werden? Zu diesem Thema kommentiert jemand, diese Haltung mache viele Menschen Angst und könnte zu einer psychischen Belastung oder Krankheit führen.

Was klar ist: Wir sollten Kontakte mit anderen Menschen so stark wie möglich einschränken, Masken tragen und Abstand wahren. Was nicht klar ist: Mit welcher Haltung wir das tun. Wir können es aus Angst um uns und andere Menschen tun – oder um Einsicht. Das Resultat scheint dasselbe zu sein, ähnlich wie bei Kindern, die entweder Zähne putzen, weil die Eltern das als Ritual einfach eingeführt haben, oder weil sie Angst davor haben, Karies zu bekommen. Aber die mitschwingende Angst wirkt auch. Nun kann es natürlich sein, dass Menschen nur aus Angst vernünftig handeln (was ich bezweifeln würde) – dann wäre die Angst-Argumentation unter Umständen gerechtfertigt.

Ein zweites Beispiel: Auf Twitter kommentiert jemand, es sei kaum zu verstehen, weshalb Eltern sich darüber beklagen, dass das Fußballtraining ihrer Kinder nicht stattfinden könne. Schließlich sei das ein kleiner Verzicht, um Ansteckungen (und damit Leid und Tod) zu verhindern.

Auch hier stellt sich mir die Frage, ob Kinder und Familien das ausfallende Fußballtraining damit begründen sollen, dass sonst mehr Menschen sterben. Sollte alles, was Menschen, die nicht konstant zuhause bleiben, mit Toten in Verbindung gebracht werden? Ich denke nicht. Kinder, die nicht aus den Wohnungen können, die den Kontakt zu wichtigen Bezugspersonen, zu sozialen Erlebnissen verlieren, leiden auch – wenn auch nicht alle gleich oder gleich stark. Vielleicht ist dieses Leiden notwendig und gerechtfertigt – aufgrund der Datenlage ist das meines Erachtens schwer abschätzbar. Aber auch hier gibt es unterschiedliche Arten, die Einschränkung zu rahmen.

Damit komme ich zum letzten Beispiel, das auf Twitter zu einer intensiven Diskussion geführt hat. Ausgangspunkt ist eine Formulierung aus dem letzten Drosten-Podcast:

Ein Lockdown ist ja keine Verhandlungssituation. Also manchmal wird das in den Medien so dargestellt. Man hört wieder irgendeinen Wirtschaftsvertreter, der sagt: “Auf keinen Fall darf es einen Lockdown geben”. Da wird eine hohe Bedingung gestellt, eine hohe Hürde gelegt, wie in einer Verhandlungssituation, wo man sich dann entgegenkommt, also die Gesundheitsseite soll dann der Wirtschaftsseite entgegenkommen. Aber das ist das falsche Verständnis. Wir sind hier nicht in einer Verhandlungssituation. Wir verhandeln hier nicht mit der Gesundheitsseite. Wir versuchen hier allenfalls mit dem Virus zu verhandeln — und das kann man nicht. Dieses Virus lässt nicht mit sich verhandeln. Dieses Virus erzwingt bei einer bestimmten Fallzahl einfach einen Lockdown. Das wird dann passieren.

Was Drosten hier formuliert, sind im Kern zwei Argumente:

  1. Die gesundheitlichen Aspekte der Pandemie können politisch (bzw. durch Wunschdenken) nicht beeinflusst werden.
  2. Ein Lockdown ist früher oder später unvermeidlich, Verhandlungen über den Zeitpunkt erzeugen die Illusion, es sei an sich verhandelbar, ob ein Lockdown nötig würde – für Drosten ist klar, dass ein Lockdown zwingend geboten ist.

Diese Argumente an sich möchte ich gar nicht diskutieren. Was Drosten aber durch seine Formulierungen mitschwingen lässt, ist aus meiner Sicht problematisch:

Dadurch, dass er einem »Wirtschaftsverteter« vorwirft, mit dem Virus verhandeln zu wollen, stellt er politische Verhandlungen insgesamt als irregeleitet dar: »Dieses Virus lässt nicht mit sich verhandeln. Dieses Virus erzwingt bei einer bestimmten Fallzahl einfache einen Lockdown.«

Dieser Lockdown wird aber – egal wann – von Menschen beschlossen und verantwortet. Sie können (und dürfen) nicht sagen, der Lockdown sei vom Virus erzwungen worden – er ist eine politische, soziale, wirtschaftliche Maßnahme, um die Ausbreitung des Virus und seine gesundheitlichen Konsequenzen abzuschwächen.

Diese Maßnahme ist nie alternativlos, entsteht nie ohne Verhandlungen: Das zeigt sich schon nur am Zeitpunkt, aber auch an der Umsetzung. Dürfen Menschen noch einkaufen gehen, was dürfen sie einkaufen, brauchen sie auf der Straße einen Passierschein, wird kontrolliert, wer sich in Wohnungen aufhält, wer darf weiterarbeiten, wer dar nach draußen etc. – all das ist durchaus verhandelbar, entsteht immer in einem politischen Prozess.

Wenn Politiker*innen auftreten und bestimmte Maßnahmen als vom Virus erzwungen darstellen, dann ist das rechtsstaatlich und demokratisch problematisch. Mir ist klar, dass Drosten das verkaufen will, was für ihn als Wissenschaftler dringend geboten ist. Ich fände es besser, wenn er sagen würde: ‘Verantwortungsbewusste Politik bedeutet, sofort einen Lockdown zu beschließen. Die Konsequenzen der Pandemie sind sonst schlimm, z.B. ___’

Angst, Tote, Alternativlosigkeit – das sind Möglichkeiten, wie wir über die Pandemie sprechen können.

Andere sind: Rituale, Ausnahme, Verantwortung. Mir wären die lieber.

In der Konsequenz kann beides auf dieselben Handlungen rauslaufen – sie sind aber anders begründet, anders gerahmt, mit anderen Emotionen verbunden. Deshalb ist es wichtig, wie wir über die Pandemie reden.

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Philippe Wampfler
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