Schlechte Berufe – es gibt sie!

Philippe Wampfler
3 min readFeb 7, 2023

Diskutiert man kritisch über Berufe (und Arbeitsbedingungen), stößt man schnell auf ein verbreitetes Axiom: Jeder Beruf ist gut, wenn er von den richtigen Personen ausgeübt wird, die genau zu diesem Beruf passen. Diese Aussage ist so konstruiert, dass sie jede Kritik ausblenden kann: Ist ein konkretes Arbeitsverhältnis (ein Job) für eine Person schädlich, dann hat sie entweder nicht in den Beruf gepasst oder halt einfach ungünstige Bedingungen angetroffen, die mit dem Beruf selber nichts zu tun haben.

Über schlechte Berufe zu reden, ist ein Tabu. In der Schweiz sogar ein doppeltes, weil die Existenz schlechter Berufe bedeuten würden, dass bestimmte Berufslehren auch schlecht sind. Von beidem bin ich überzeugt.

Was ist denn ein schlechter Beruf? Die einfachste Annäherung: Einer, den wir für uns und unsere Familie für nicht zumutbar halten. Wo wir allen, die wir lieben, raten würden, etwas zu unternehmen, um einen anderen Beruf zu finden.

Das hängt grundsätzlich mit drei Faktoren zusammen:

  1. Berufe, bei denen die Arbeitsbedingungen so schlecht sind, dass sie grundlegenden menschlichen Bedürfnissen zuwiderlaufen.
  2. Berufe, die Menschen keine Entwicklungsmöglichkeiten und keine Abwechslung bieten.
  3. Berufe, bei denen Menschen nicht verstehen, was sie in der Welt bewirken – oder die der Welt sichtbar schaden. (Nach Graeber sind das »Bullshit Jobs«.)

Der Grund, weshalb damit nicht Jobs gemeint sind (also Arbeitsverhältnisse): Weil das Problem strukturell ist. Das heißt, die Wahrscheinlichkeit, in einem Beruf diese drei Probleme anzutreffen, ist deutlich höher als bei anderen Berufen.

Nehmen wir zwei Beispiele. Das erste: Fleischfachfrau/Fleischfachmann. Die Branche hat Mühe, Jugendliche zu finden, die eine Lehrstelle absolvieren wollen. Grund: Monotone Arbeit, fehlende Entwicklungsmöglichkeiten, Schlachten von Tieren – und tiefer Lohn. Metzger ist ein schlechter Beruf. Natürlich gibt es Anstellungsverhältnisse in einem Feinkostgeschäft, wo toller Kontakt mit Kund*innen möglich ist, wo keine Tiere direkt getötet werden, wo ein Arbeitstag durchaus abwechslungsreich ist und vielleicht sogar der Lohn ansprechend ist. Und klar gibt es Menschen, die gerne Fleisch verarbeiten. Grundsätzlich zieht der Beruf aber strukturell Arbeitsverhältnisse an, die in vielen Fällen problematisch sind.

Ein zweites Beispiel: Reinigungsaufgaben im Detailhandel. Durch die immer längeren Ladenöffnungszeiten und den gewerkschaftlichen Druck auf Großverteiler sind diese an Unternehmen ausgelagert worden, die Mitarbeitende in der Nacht arbeiten lassen. Auch hier: Repetitive Arbeit, schlechte Bezahle, kaum Weiterbildung oder Entwicklungschancen. Müssten Menschen kein Geld verdienen, würden sie diese Form von Aufgaben nicht mehr erledigen.

Das ist dann letztlich auch das Kriterium, mit dem der subjektive Eindruck objektiviert werden kann: Wenn alle Menschen ein Grundeinkommen erhielten, um ihre Grundbedürfnisse zu decken – wer würde diese Aufgaben noch erledigen?

Ich könnte weitere Beispiele aufzählen – das Baustellen-Problem beschreibt etwa, wie Jugendliche gegen ihren Willen dazu gedrängt werden, Lehrstellen auf dem Bau anzunehmen, wo der wirtschaftliche Druck so stark ist, dass menschliche Arbeitsbedingungen oft nicht möglich sind. (Was wiederum nicht heißt, dass auf Baustellen nicht auch gute Berufe gibt.)

Die herrschende Ideologie, die Arbeit romantisiert, um Menschen das Recht auf eine Grundversorgung abzusprechen (nur wer arbeitet, soll leben dürfen), versteckt, dass es schlechte Berufe gibt. Sie will wie Fleisch-Fachverband Menschen zwar dazu zwingen, diese Berufe weiter auszuüben, gleichzeitig aber nicht eingestehen, dass es diesen Zwang gibt. Die Vorstellung, jeder Beruf sei gut, wenn die richtigen Menschen ihn ausüben, übersieht, dass Berufe tatsächlich gut sein könnten: Wenn sie

  1. allen Menschen faire Arbeitsbedingungen bieten würden
  2. allen Menschen Abwechslung und Entwicklung ermöglichen würden
  3. Tätigkeiten vermeiden würden, die sinnlos oder schädlich sind.

Letztlich – und auch das spricht fast niemand aus – steckt in der Ideologie eine faschistische Vorstellung: Einige Menschen sind weniger wert, weshalb es okay ist, sie ökonomisch so starkem Druck auszusetzen, dass sie schlechte Berufe ergreifen. Das wirkt dann nach außen immer noch irgendwie freiwillig, obwohl es das nicht ist.

So stellt sich Midjourney einen schlechten Beruf vor (Prompt: »bad profession 2023, illustration«).

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Philippe Wampfler

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