#NeinzuNoBillag

Philippe Wampfler
4 min readOct 26, 2017

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Am 4. März 2018 stimmen die Stimmberechtigten der Schweiz über eine Initiative ab, welche die Finanzierung öffentlich-rechtlicher Medien verunmöglicht. Ich halte die Initiative für sehr gefährlich. Meine Argumente lege ich im folgenden Text dar, nachdem ich die Initiative kurz umreiße und darstelle, was für ihre Annahme spricht.

Im Initiativtext steht:

Der Bund versteigert regelmässig Konzessionen für Radio und Fernsehen.

Er subventioniert keine Radio- und Fernsehstationen. Er kann Zahlungen zur Ausstrahlung von dringlichen amtlichen Mitteilungen tätigen.

Der Bund oder durch ihn beauftragte Dritte dürfen keine Empfangsgebühren erheben.

Der Bund betreibt in Friedenszeiten keine eigenen Radio- und Fernsehstationen.

Die Gebühren kosten ab 2019 pro Haushalt 365 Franken pro Jahr, heute etwas mehr. Für die Initiative sprechen einige Gründe:

  1. Warum überlässt man den Haushalten nicht die Entscheidung, wofür sie die 365 Franken ausgeben möchten, statt sie zu verpflichten, ein öffentliches Medienangebot damit zu finanzieren?
  2. Ich sehe kein lineares Fernsehen. Filme und Serien schaue ich über Abos, lade sie im Netz gratis runter oder kaufe sie — je nach Angebotssituation. Sport schaue ich über Streams. Nachrichten- und Hintergrundmeldungen erreichen mich über Twitter.
    Das Angebot von SRF ist nicht für mich gemacht.
  3. Die politische Haltung von SRF entspricht mir oft nicht. Aus meiner Sicht erhalten die falschen Themen eine Plattform, SRF propagiert teilweise einen sentimentalen Patriotismus, der die urbane und migrantische Schweiz nicht einbezieht.
  4. Die zentrale Aufgabe des Staates besteht darin, die Sicherheit seiner Bürgerinnen und Bürger zu schützen und ein würdevolles, demokratisches Zusammenleben zu ermöglichen. Gebühren für Sender einzutreiben, die zu einem großen Teil Musik senden und Unterhaltung ausstrahlen, gehört nicht zu den Staatsaufgaben.

Die Formulierung dieser Gründe für die Initiative zeigt: Ich kann sie durchaus nachvollziehen. Aber gleichwohl sprechen so starke Argumente dagegen, dass ich über eine Annahme nicht lange nachdenken muss.

Argument 1: Die falschen Argumente.
a) Zuerst das Geld: Wer in Deutschland in der Saison 2018/2019 die Bundesliga und die Champions League am Fernsehen sehen will und kein neues Abo abschließt, bezahlt dafür bei Sky über 50 Euro pro Monat. Das ist fast doppelt so viel, wie die Gebühren für SRF ab 2019 kosten. Wer realistisch bleibt, sieht: Die Schweizer Haushalte werden das Angebot von SRF nicht zum gleichen Preis ersetzen können, sondern deutlich mehr bezahlen. Mehr Geld bleibt ihnen also nicht.
b) Dann die Freiheit: Freiheit bedeutet nicht die Abwesenheit von Zwang (das ist eine zirkuläre Definition), sondern das Verfügen über Möglichkeiten. Muss sich SRF über den Markt finanzieren, sind viele Sendungen nicht mehr möglich: Kulturplatz, SRFmySchool, die Reportagen der Rundschau, Sternstunde Philosophie, Echo der Zeit — die Liste der Angebote, die sich nicht mehr finanzieren ließen, ist lang. Damit gibt es weniger Möglichkeiten für Unterhaltung und Information. Die Freiheit sinkt.
c) SRF wird vorgeworfen, zu wenig zu unternehmen, um das Programm zu ändern. Dieses Argument halte ich für besonders falsch: Das Angebot bewegt sich im Rahmen des gesetzlichen Auftrags. Eine Diskussion, wie dieser Auftrag auszusehen hat, ob er an die medialen Veränderungen angepasst werden soll, würde ich begrüßen. Aber eine Diskussion führt man nicht mit einem Vorstoß, der SRF sämtliche Mittel entziehen würde.

Argument 2: Die Bildung und die Qualität.
Wer sich über gesellschaftlich relevante Themen in der Schweiz informieren will, ist auf SRF angewiesen. Spreche ich mit Klassen über aktuelle Themen wie die Sterbehilfe in der Schweiz, gibt es keinen Weg an den Dokumentar-, Informations- und Diskussions-Sendungen von SRF vorbei. Das betrifft jedes gesellschaftliche und politische Thema: SRF arbeitet seriös, mit gut ausgebildeten Profis, ist sensibel, bringt verschiedene Perspektiven ein und leistet Vermittlungsarbeit. SRF hat zudem etablierte Verfahren, um mit Kritik an den eigenen Sendungen umzugehen. Der Verlust dieser Ressource wird durch den Markt nicht ersetzt. Private Sender müssen subventioniert werden, um aufwändige Dokumentar- oder Diskussionssendungen rentabel zeigen zu können.

Argument 3: Die Demokratie.
Wer bereitet auf Abstimmungen und Wahlen vor und wer präsentiert die Nachrichten, wenn das SRF nicht tut? Man stelle sich nur eine Bundesratswahl vor, ohne die ausgebildeten Fachleute von SRF. Die politische Information und die demokratische Bildung in der Schweiz würde ohne das Geld für SRF massiv leiden.

Argument 4: Solidarität.
Ich bin gut gebildet, technisch einigermaßen versiert. Ich finde Streams von NFL-Spielen, kann Filme bei iTunes kaufen und manage mein Netflix-Abo. Meine Interessen sind überregional, ich verstehe englische Filme und Serien in Originalsprache. SRF ist nicht primär für mich gemacht und das ist richtig so. Ich zahle auch Gebühren, um Menschen in Randregionen Informationen und Unterhaltung zu ermöglichen, älteren und weniger gebildeten Personen. Ich will, dass die Schweiz eine Gemeinschaft ist, in der sich alle Menschen seriös informieren können. Ich trete für niederschwellige Kulturvermittlung ein, aber auch für demokratischen Fußball und Schweizer Filme und Serien. Für Chancen für Journalistinnen und Journalisten, durch einen auch mit Gebühren finanzierten Lohn eine sichere Stelle zu haben, für Kameraleute und Drehbuchschreiberinnen und -schreiber. Ich weiß, wie viel sie in ihre Arbeit investieren und wie schwierig es ist, die Leistung zu erbringen, die sie erbringen.

Wie sich die Billag einen Schweizer Haushalt vorstellt.

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