Gedanken zur ETH-Story der Republik

Philippe Wampfler
4 min readApr 4, 2019

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Update 5. April: Oliver Fuchs hat auf den Text reagiert, vgl. unten.

An der ETH soll eine Astronomie-Professorin ihre Doktoranden über Jahre gemobbt haben. Jetzt wird sie entlassen, obwohl die Schuldfrage nie geklärt wurde. Wie eine Institution von Weltruf alles verrät: die Professorin, die Unschuldsvermutung, sich selbst.

Das ist der Lead zur ersten Folge der ETH-Story der Republik. Sie umfasste insgesamt drei Folgen, zwei Interviews, eine Reaktion auf die Stellungnahme der ETH sowie eine englische Übersetzung.

Ich habe die Geschichte verfolgt und immer wieder kommentiert. Geblieben ist ein Unbehagen, das ich hier kurz ausdrücken möchte.

  1. Ich finde lange, genaue Recherchen wichtig. Institutionen bündeln und organisieren Machtprozesse – Journalismus macht das transparent und bietet die Möglichkeit fokussierter Kritik.
  2. Die Geschichte hat mehrere Ebenen:
    a) Vorfälle und Führung an einem Lehrstuhl, Vorwurf des Mobbings
    b) Umgang mit den auf a) bezogenen Vorstößen, insbesondere Entlassung einer Professorin
    c) Vergabe von Mitteln und Ämtern an den Instituten
    d) Führung der ETH
    Diese Ebenen haben miteinander zu tun, können aber getrennt werden. Das haben die Verantwortlichen bei der Republik nicht gemacht: Sie haben die Frage, ob die Professorin Doktorierende nicht korrekt gehandelt habe, implizit beantwortet (Ebene a)) – obwohl sich die Artikel gezielt auf die Ebene b) bezogen haben. Auch zu c) und d) haben die Artikel viele nebensächliche und beiläufige Kritik versammelt.
  3. Insgesamt entsteht so der Eindruck einer Kampagne gegen die ETH und des Aufwägens eines möglichen Unrechts mit einem anderen. Nur kann beides wahr sein: Es ist denkbar, dass es am Lehrstuhl Mobbing gab und die Professorin falsch behandelt wurde.
  4. Die Geschichte ist einseitig erzählt, mehrfach: Es fehlt eine Frau im Rechercheteam. In der Aufarbeitung von Sexismusvorwürfen ist das unverzeihlich. In der Geschichte fehlen die Doktorierenden, fehlen andere Perspektivefiguren ausser der Professorin. Die Recherche erzählt die Wahrnehmung einer Person, indem sie sie als einzige Identifikationsfigur anbietet. Das ist problematisch.
  5. Es ist unklar, wie die Recherche verlaufen ist. Für ein Medien-Startup, das hohen Wert auf Transparenz liegt, wäre es denkbar, zu erklären, weshalb man sich für diesen Publikationszeitpunkt entschieden hat, weshalb eine englische Übersetzung angefertigt wurde, weshalb zwei Interviews nachgeliefert wurden, welche die Haltung der Reportage stützen etc. Hier fehlen überzeugende, klare Auskünfte.
  6. Konstruktive Kritik an der Geschichte wird nicht berücksichtigt, die Verantwortlichen antworten nicht einmal darauf. Reaktionen erfolgen selektiv, heftig, erratisch. Bei mir entsteht der Eindruck einer Wagenburg: Als hätten sich die Verantwortlichen zusammengeschlossen und würden sich gegen Feinde verteidigen.

Das bleibt letztlich auch das Fazit: Weshalb schafft es die Republik – deren »Verleger« ich bin – nicht, verschiedene Perspektiven abzubilden, zu zeigen, dass es unterschiedliche Wahrnehmungen, gar Wahrheiten gibt, dass sich Unrecht an großen Institutionen oft überlagert, eindeutige Einordnungen oft schwierig sind? Weshalb ist sie nicht in der Lage, im Netz ein Gespräch über diese Geschichte zu führen – und versteift sich darauf, sie zu verteidigen?

* * *

Oliver Fuchs, der bei der Republik für die Community verantwortlich ist, hat auf Twitter auf den Text reagiert:

Zu 2. impliziter Freispruch. Wir können uns ewig weiter dazu streiten. Dass Formulierungen/Aufbau bei dir Sympathie für Carollo erzwingen, kann ich nachvollziehen. Bei mir nicht. Explizites können wir diskutieren, bei implizitem kommen wir nicht weiter.

3. Kampagne: Dein Eindruck. Wir haben denke ich oft genug (auch öffentlich) bedauert, dass viele Kritisierte nicht reden wollten. Eine Woche drauf tun sie das dann anderswo (Tagi, SoZ, NZZ…). Fair enough, balances out.

4a. Einseitigkeit: Siehe Punkt 3. Meine Kollegen haben es wirklich, wirklich versucht. Wo möglich, haben Sie die Gegenseite via ihren Papertrail zu Wort kommen lassen.

4b. Fehlende Frau im Team. Diversity macht imho jede Teamarbeit besser — sicher auch grosse Recherchen. Hab ich mir hier nie überlegt, thanks for raising a potential blindspot.

5. a) Wir haben einen Podcast dazu gemacht. b) Und den Zeitpunkt erklärt (Konfrontation ETH löste Medienkonferenz aus — wir arbeiteten das ein und publizierten dann.) c) Übersetzung: Weil wir damit auch interessierte Leserinnen erreichen wollen, die kein Deutsch können.

6. Mann… Hier fände ich es wirklich cool, wenn du uns wenigstens ein Bisschen zugute halten würdest, dass wir es im Vergleich mit anderen Publikationen wenigstens versuchen. Dialog, Twitter, Metakommunikation. Isses perfekt? Natürlich nicht! Aber comeon, please, we’re trying.
Wir haben auf Twitter vieles reagiert.
- Wir haben alle Kritik im Dialogforum 1zu1 stehen lassen.
- Wir haben offline Gespräche geführt.
- Und ja klar, wir haben auch intern viel diskutiert.
Und wenn dann das Fazit trotz all dem “Wagenburg” ist, dann macht mich das ratlos.

Ich habe auch schon eine Antwort geschrieben, konzentriere mich hier auf drei Aspekte:

  • Menschen wollen nicht reden:
    Das hat für mich zwei Konsequenzen: Die Redaktion müsste reflektieren, weshalb das Vertrauen fehlt. Und sie kann die Reportage nicht so schreiben, wie sie sie mit diesen Statements schreiben würde. Das Nicht-Reden darf nicht zu einem Vorwurf werden, sondern muss als Möglichkeit respektiert werden. Ich weiß, dass das schwierig ist – und dass das wiederum recht implizit ist, weil ich hier nicht auf konkrete Textpassagen verweisen mag. Möglich wäre es.
  • Zeitpunkt und Pressekonferenz:
    Das ist sicher ein Faktor. Aber weshalb vorher noch nicht publiziert? Worauf habt ihr gewartet? Auch die Antwort zur Übersetzung überzeugt mich nicht – das könnte man ja bei jedem Text machen. (Ich habe den Podcast bisher übersehen, höre ihn aber nach und werde dann hier wieder kommentieren.)
  • Kommunikation:
    Meine Kritik geht nicht vom Vergleich mit anderen Redaktionen aus, sondern vom Vergleich mit meinen Erwartungen, mit den Ankündigungen. Ich stelle mir die Republik etwas radikaler vor, mutiger: Davon zeugt dieser Text. Also zum Beispiel: Unsicherheiten einräumen. Kritik nicht nur stehen lassen, sondern aufgreifen, sogar danach suchen: Also ein Interview mit einer Professorin machen, welche in der ETH eine professionell geführte Universität sieht, welche z.B. die Ressourcenverteilung und Führung in Departementen nicht als Machtkampf, sondern als notwendige, von der eigentlichen Forschung aber ablenkende Aufgabe sieht.

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