Das Erbe der Aufklärung – eine Replik auf Thomas Ribi
»Wer für abweichende Haltungen nur Schweigen übrig hat, verrät das Erbe der Aufklärung«, lautet der Titel eines Artikels von Thomas Ribi, den er für das NZZ-Feuilleton geschrieben hat. Darin konstatiert er, »das linksliberale Milieu« weigere sich, Diskussionen über Themen zu führen, die zum Kern seiner Überzeugungen gehören – Verzicht auf Fleisch, CO2-Ausstoß, Gender-Bewusstsein und eine liberale Flüchtlingspolitik sind die Beispiele, die der Autor vorbringt. Dieses Schweigen sei gefährlich, weil es das Erbe der Aufklärung gefährde:
Vernunft ist keine Ware, die gebrauchsfertig bereitliegt. Sie ist ein Projekt, das immer wieder neu entsteht, aus dem Widerstreit von Positionen, aus dem Kampf um das bessere Argument.
Der Artikel fordert eine Replik heraus, zumal man dann als Vertreter dieser Positionen, der ich bin, mindestens dem Vorwurf entgehen kann, die Debatte nicht angenommen zu haben, »den Kampf um das bessere Argument« nicht geführt zu haben.
Nun zeichnet sich der Artikel dadurch aus, dass er auf konkrete Argumente verzichtet — eine andere Position ließe »sich vielleicht ebenso gut begründen«, heißt es an einer bezeichnenden Stelle. Lässt sie sich wirklich begründen?
Werden Debatten von jemandem nicht mehr geführt, dann kann das ja damit zusammenhängen, dass es gar nichts zu debattieren gibt oder das bessere Argument schon längst gefunden wurde.
Wer also 2018 über Fleischkonsum oder gerechte Sprache sprechen will, sollte zumindest die relevanten Diskussionen, die zu diesen Fragen seit 50 Jahren geführt werden, zur Kenntnis nehmen. Das ist im NZZ-Feuilleton aber seit einiger Zeit nicht mehr der Fall. Dort werden völlig unbedarfte Argumentationen abgedruckt, deren Autorinnen und Autoren tun, als wären viele philosophische Texte nie erschienen und seien nicht schon längst Argumente ausgetauscht worden.
Zu fragen wäre also generell: Gilt das, was Ribi beschreibt und beklagt, nicht generell für jeden Diskurs – dass er einen gewissen Grad an Geschlossenheit aufweist und nicht auf jede Zuckung aus anderen Diskursen reagiert? Klar: Zuweilen kommt es dabei zu argumentativen Verkürzungen und einem Tunnelblick.
Die Behauptung, es gäbe diesen »Kampf um das bessere Argument« wirklich, bleibt meist uneingelöst. Auf die Fahnen schreiben sich das rechts-konservative Publikationen wie auch das »Intellectual Dark Web« – gemeint ist damit aber oft ein überholtes Verständnis von wissenschaftlich-rationaler Argumentation und eine bestimmte Form von Themensetzung (ein Arrangement von Themen wird als »Moralismus« und »Political Correctness« bezeichnet und damit gegenüber den eigenen Themenvorlieben abgewertet).
[Aber hier wäre ein Anfang gemacht – wir werden sehen, ob Ribi wiederum diese Replik aufgreift und wirklich bereit ist, in eine Debatte einzutreten.]
Ein weiterer Aspekt, der im Text aus meiner Sicht nicht durchdacht ist, ist die Funktion der Moral. Ribi macht es sich hier recht einfach: Er behauptet, in den von ihm gemeinten Positionsbezügen würden moralische Erwägungen einer vernünftigen Einschätzung vorgezogen. Die Moral erscheint aus dieser Sicht als eine Verengung der Argumentation, weil neben moralischen auch andere Begründungen für Meinungen auftreten müssten.
Doch stimmt das? Die Frage, ob wir Tiere töten dürfen, um sie zu essen – oder ob es gute Gründe dafür gibt, den CO2-Ausstoß nicht zu reduzieren: Das sind moralische Fragen, auf die es nur eine moralische Antwort geben kann. Diese ist dann – im besten Fall – weder unvernünftig noch unbegründet, aber trotzdem nicht beliebig: »Natürlich sind politische und gesellschaftliche Fragen auch eine Sache der Moral. Aber Moral ist nicht gratis zu haben. Wir müssen um sie ringen. Welche Entscheidung in einem konkreten Fall moralisch richtig ist, ist kaum je eindeutig«, behauptet Ribi sehr pauschal. Hier wäre es vielleicht hilfreich, eine persönliche Haltung von einer vernünftigen, dann wohl eher ethischen als moralischen Argumentation zu trennen: Ich kann zwar finden, es sei ganz okay, Frauen sprachlich nicht explizit zu erwähnen, sondern sie »mitzumeinen« – aber nur weil ich das finde, ist das nicht eine vernunftbasierte Argumentation, sondern eher das Gegenteil.
Kurz: Ribi bleibt den Beweis schuldig, dass er sich an die eigenen Maßstäbe hält. Führt er – und das bürgerliche Feuilleton, für das er spricht – den Kampf um das bessere Argument wirklich »offen«, »ehrlich« und basierend auf Vernunft? Oder behauptet er das nur, um daraus einer Gegenseite einen haltlosen Vorwurf zu machen, der im Kern nichts anderes sagt, als dass Menschen lieber für die eigenen Argumente eintreten als anderen die Aufmerksamkeit zu überlassen?