Das Dilemma das Geldspielgesetzes

Philippe Wampfler
3 min readMay 9, 2018

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Am 10. Juni stimmen die Schweizerinnen und Schweizer über ein Geldspielgesetz ab. Im Mittelpunkt stehen zwei gute Argumente, zwischen denen eine Entscheidung für mich schwierig ist. Ein echtes Dilemma.

Argument 1: Die Freiheit im Netz

Im Geldspielgesetz steht folgender Abschnitt:

Art. 86 Sperrung des Zugangs zu nicht bewilligten Spielangeboten
1 Der Zugang zu online durchgeführten Geldspielen ist zu sperren, wenn die Spielangebote in der Schweiz nicht bewilligt sind.
2 Gesperrt wird ausschliesslich der Zugang zu Spielen, deren Veranstalterinnen ihren Sitz oder Wohnsitz im Ausland haben oder ihn verschleiern und die von der Schweiz aus zugänglich sind.
3 Die ESBK und die interkantonale Behörde führen und aktualisieren jeweils eine Sperrliste betreffend die Angebote in ihrem Zuständigkeitsbereich.
4 Die Fernmeldedienstanbieterinnen sperren den Zugang zu den Spielangeboten, die auf einer der Sperrlisten aufgeführt sind.

Das Gesetz führt also zur Sperrung von Webseiten mit Sperrlisten. Das ist eine Art Dammbruch: Weitere Gesetze, die aus irgendwelchen Gründen Seiten im Netz sperren lassen wollten, könnten die Liste beliebig erweitern. Am Schluss bliebe ein Staatsnetz, gesetzlich gefiltert und bereinigt.

Das widerspricht grundsätzlich der Idee eines Rechtsstaates, der Informationen nicht zensiert.

Argument 2: Regulierung des Glücksspiel

Glücksspiel macht süchtig und hat für Betroffene und ihre Angehörigen verheerende Folgen. Die Realität in allen Casinos (und im Netz) widerspricht der PR der Casino-Branche, die luxuriöse und spannende Events zeigt. Die schäbigen Etablissements, in denen Abhängige einen großen Schein nach dem anderen in Maschinen schieben oder in Jetons umwandeln – die werden nicht nur in der Werbung, sondern auch in den Köpfen vieler Menschen ausgeblendet.

Aus diesen Gründen macht eine staatliche Regulierung Sinn, auch ein Verbot fände ich nicht unvernünftig. (Casinos sind designt, Menschen abhängig zu machen.) Ist Glücksspiel erlaubt, dann sollen Konzessionen so verteilt werden, dass ein Schutz gefährdeter Personen möglich ist, ein Teil der Gewinne in die Prävention und der Allgemeinheit einen Nutzen verschafft (ähnlich wie bei der Tabaksteuer).

Diese Regulierung kann ein Staat von Netzanbietern nicht aushebeln lassen.

Die Lösung

Die Regulierung müsste nicht über den Internettraffic, sondern über den Zahlungsverkehr erfolgen. In der Schweiz registrierte Kreditkarten dürfen weder Zahlungen tätigen noch entgegennehmen, die mit Glücksspielen in Verbindung stehen. Der Zahlungsverkehr ist bereits reglementiert, hier entsteht kein Dammbruch. (Ungelöst ist hingegen noch die Frage, wie der Staat mit Kryptowährungen umgehen soll. Aber das wäre nicht nur für das Glücksspiel ein Problem.)

Weil das Gesetz eine unsaubere Lösung vorschlägt, entsteht das Dilemma: Ist ein freies Netz wichtiger als ein vernünftiger staatlicher Umgang mit Spielsucht?

Nebenbemerkungungen

Das Gesetz verweist auf zwei weitere juristische Probleme:

a) Die Umsetzung von Gesetzen
Ich bin recht geübt darin, Netzsperren zu umgehen. Es ist wahrscheinlich, dass es vielen Interessierten leicht fallen wird, die Einschränkungen des Gesetzes auszuhebeln (was nicht einmal illegal wäre). So entsteht ein Gesetz, welches das Netz nur für in dieser Frage weniger kompetente Menschen einschränkt.
Doch dieses Problem gibt es immer. Informationen sind ungleich verteilt, Strafverfolgung erfolgt auch ungleich. Es ist immer möglich, Gesetze zu umgehen — es sei denn, man lebt in einem totalitären Überwachungsstaat. Die Frage ist deshalb, wie einfach es möglich ist, ein Gesetz zu umgehen – oder was die Auswirkungen sind. Ein Verbot von Glücksspielen würde etwa illegale Angebote blühen lassen, bei denen Regulierung und Schutz von Süchtigen unmöglich ist.

b) Lobby-Gesetze
Die Casino-Lobby hat ein großes Interesse an diesem Gesetz — während ausländische Anbieter die Gegenseite unterstützen. Eigentlich ein schöner Fall: In der Abstimmung kann ausgedrückt werden, welche Interessen höher gewichtet werden. Grundsätzlich hat der Einfluss von Unternehmen und Verbänden auf die Gesetzgebung aber ein lächerliches Ausmaß angenommen: Im Mittelpunkt sollte eine Lösung stehen, welche die Rechte von Menschen schützt. Nicht die Interessen von Konzernen.

Die Realität in Online-Casinos.

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