Communities und die Zukunft des Journalismus

Philippe Wampfler
3 min readJun 8, 2019

Heute habe ich auf Twitter kurz thesenartig kommentiert, was man von der Klimabewegung über die Zukunft des Journalismus lernen kann. Die Reaktionen auf meinen Thread haben mir gezeigt, dass ich meine Argumente ausformulieren sollte. (Mir ist durchaus bewusst, dass ich im Journalismus als Outsider gelte. Ich bin ein kritischer Beobachter und Mitdenker, kein Journalist.)

Journalismus wird klassisch von Redaktionen und Brands aus gedacht: Eine Redaktion etabliert Prozesse, mit denen journalistische Formate produziert werden. Diese Formate werden unter einer Brand an ein Publikum ausgespielt – diese Brand garantiert Qualität (und auch eine bestimmte politische Ausrichtung, einen Themenmix etc.). Die Redaktion und die Brand funktionieren unabhängig von einzelnen Köpfen: Egal wer dort mitarbeitet – das Angebot stimmt mit den Erwartungen des Publikums überein.

Dieses Modell kommt unter Druck: Die digitale Transformation findet auf Plattformen statt, welche die Erwartungen des Publikums verändert und das Publikum selbst fragmentiert haben. Es vertraut Brands selektiver, indem es sich technisch direkt auf einzelne Journalist*innen, Themen oder Texte beziehen kann.

Eine Reaktion darauf ist der Aufbau einer »Community«. Der aus dem Marketing entlehnte Begriff wird für enger mit der journalistischen Marke verbundene Personen verwendet, die in Kommentaren miteinander und teilweise auch mit der Redaktion in einen Austausch kommen und mit Anlässen und Marketing-Methoden für ihre Treue belohnt werden.

Community lässt sich aber auch radikaler als eine Gemeinschaft verstehen, die ein gemeinsames Projekt vorantreibt – zum Beispiel Aktivismus in Bezug auf die Klimapolitik. Diese Community besteht aus lokalen und zu spezifischen Themen vernetzten Gruppen, die persönliche Ziele verfolgen, aber wissen, dass sie zu ihrer Erreichung ein Netzwerk brauchen.

Diese Gemeinschaften entwickeln quasi beiläufig journalistische Produkte. Ein erstes Bedürfnis nach interner und externer Kommunikation führt wie im Beispiel von Instagram-Kanälen und der Zeitschrift »netto.null« zu journalistischen Formen, die eine Öffentlichkeit über die Anliegen und Methoden der Gemeinschaft informieren können.

Zeitschrift der Schweizer Klimabewegung

Aus einer idealistischen Perspektive lässt sich natürlich sagen, dass Redaktionen ohne politisches Ziel oder Abhängigkeit Themen journalistisch aufarbeiten – was eine Gemeinschaft so nicht machen wird. Nur bleibt das halt ein Ideal: Eine Redaktion denkt verzerrt, nimmt Themen selektiv wahr und orientiert sich an einer Tradition und einer Norm, die Objektivität und Ausgewogenheit verhindern. Das ist keine generelle Kritik: Gute Redaktionen streben nach Objektivität und Ausgewogenheit, wissen aber, dass sie dabei blinde Flecken haben und Korrektive brauchen.

Zwei Punkte sprechen für mich dafür, dass echte Gemeinschaften den Journalismus der Zukunft produzieren werden:

  1. Gemeinschaften bestehen aus Personen, die auf digitalen Plattformen vernetzt sind und experimentelle Medienkompetenz aufweisen. Sie können sich so viel schneller an Trends anpassen und sind viel direkter bei den Personen, die ihre Texte, Bilder und Videos wahrnehmen.
  2. Der Sinn, den Menschen in einer Gemeinschaft finden, kann nicht auf eine »Community« übertragen werden. Gemeinschaften arbeiten fokussierter und partizipativer. Sie lösen sich auf, wenn niemand mehr mitarbeitet. Redaktionen »pflegen« ihre »Community« – aber wahren stets auch Distanz. Schreiben dürfen Journalist*innen, die »Community« darf lesen, teilen und kommentieren. Es gibt eine Gemeinschaft in der Redaktion (deren Ziel aber zu einem großen Teil zurecht auch in guten Arbeitsbedingungen besteht) – und eine »Community« außerhalb der Redaktion.
    Diese Trennung gibt es in Gemeinschaften nicht.

Das alles formuliere ich kulturpragmatisch. Ich empfinde es einerseits als beruhigend, dass junge Menschen außerhalb von Redaktionen und etablierten Prozessen guten Journalismus machen – andererseits finde ich auch wichtig, dass ausgebildete und bezahlte Menschen Zeit haben, darüber nachzudenken, wie relevante Fragen und die Antworten darauf dargestellt und vermittelt werden können.

Die »Generation Purpose« arbeitet daran, dass sich Gemeinschaften entwickeln können…

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Philippe Wampfler

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