Biologisches Geschlecht als 0 und 1
In der Nature-Nurture-Diskussion wird danach gefragt, was den Menschen präge: die natürlichen (genetischen) Gegebenheiten oder die Erziehung, das Umfeld. Eine der klügsten Antworten darauf lautet: Der Mensch ist ein Rechteck. Seine Breite ist die Nature, seine Länge die Nurture. Es gibt kein Rechteck ohne Länge und Breite – und es gibt keinen Menschen ohne Natur und Erziehung. Was auch immer Menschen tun, es ist biologisch und sozial geprägt.
Ähnlich einfach scheint mir ein Bild zu sein, das erklären kann, weshalb es unsinnig ist, die Binarität des biologischen Geschlechts zu betonen. Im Bild geht es um 0 und 1, zwei Zustände. In der digitalen Schalttechnik sind diese beiden Zustände die Grundlage für das, was Computer machen: Programme verarbeiten.
Wir haben also zwei Zustände (z.B. ist ein Schalter an oder er ist aus) und Programme, welche die Möglichkeit dieser beiden Zustände nutzen, um Informationen zu verarbeiten.
Wenn wir nun über die Biologie des Menschen oder über gesellschaftliche Prozesse reden, dann sagen in letzter Zeit Menschen immer wieder: »Aber es gibt nur zwei biologische Geschlechter.« Das ist im Bild wie wenn man über Programme spricht, z.B. über ein Update von Microsoft Word, und dann sagt: »Aber es gibt nur zwei Zustände in der digitalen Schalttechnik.«
Beides ist wahr, so wahr, dass es trivial ist. Es erklärt aber nichts. Insbesondere sind biologische Prozesse wie z.B. die Ausprägung von Geschlechtsmerkmalen, nie binär. Sie bilden Spektren, Verteilungen. Diese Spektren auf binäre Pole zu reduzieren ist eine Komplexitätsreduktion, die fast immer irreführend ist.
Besonders gefährlich ist das, wenn binäre biologische Vorstellungen genutzt werden, um soziale Prozesse zu strukturieren. Wenn also alle Menschen, denen der Zustand »männlich« zugeschrieben wird (obwohl schon ihre biologischen Prozesse nicht »männlich« sind, sondern von männlichen Keimzellen angestoßen), gezwungen werden, sich einheitlich zu verhalten. Was dann passiert, ist eine Art Zirkelschluss: aufgrund der Annahme, alle »männlichen« Menschen seien gleich, werden sie normiert.